Angebote in der Gemeinde

Gemeinde-basierte Lösungen für Krisen in der häuslichen Umgebung

(community based alternatives to coercion)

Beschreibung

Angebote zur Unterstützung von Menschen in Krisen außerhalb von Krankenhäusern oder Unterkünften, sondern in der jeweiligen gewohnten bzw. bevorzugten Umgebung der Nutzer*innen.

Die Leistungen durch die Mitarbeitenden finden in einem Ausmaß statt, das sich nach dem richtet, was von Nutzer*innen eingefordert wird.

Beispiele sind:

  • Gesetzlich vorgesehener Krisendienst in Berlin & Bayern

Ermöglicht Menschen in psychischen Krisen, für deren Bewältigung sie sich externe Unterstützung wünschen, anonyme persönliche oder telefonische Kontaktaufnahme und Beratung, sowie in akuten Fällen auch de-eskalative Unterstützung direkt vor Ort (24 Std. & 365 Tage im Jahr an neun Standorten).

  • Zu-Hause Dienstleistungen für Kinder (in-home services for children)

Wirkweise

Menschen werden meist stationär aufgenommen, wenn sie sich in Krisen befinden, ohne Alternativen aufgezeigt zu bekommen und unabhängig davon, was sie genau benötigen. Dies kann die Beschwerden verstärken und wird deshalb in diesem Ansatz vermieden. Da Wünsche und das Recht auf Wahl der Nutzer*innen, in der von ihnen gewählten Umgebung, eher erfüllt werden und Leistungen indivueller ihren Effekt zeigen.

Adressat*innen

Politik/ Entscheidungsträger*innen – schaffen die gesetzlichen Strukturen und Finanzierung für solche Projekte/ Einrichtungen

Kliniken und Mitarbeitende der jeweiligen Abteilung, insbes. Führungspersonal – sorgen für Umsetzung solcher Modellprojekte

Erfahrungsexpert*innen – Rückmeldung zur Weiterentwicklung/ Verbesserung dieser Projekte; als Entscheidungsträger*innen und Mitarbeitende in den Projekten

Wissenschaftler*innen – Evaluierung der Modellprojekte

Evidenz

Wirksamkeit für Erwachsene und Jugendliche/ Kinder:

Reduzierte Wahrscheinlichkeit in ein Krankenhaus aufgenommen zu werden und somit auch verringerte Wahrscheinlichkeit Zwang zu erleben

Gesteigerte Zufriedenheit von Nutzer*innen

Quellennachweis

Gooding, P. et al. (2018) Alternatives to Coercion in Mental Health Settings: A Literature Review, Melbourne: Melbourne Social Equity Institute, University of Melbourne.

Leeds Survivor-Led Crisis Service

Sheffield Crisis Resolution Home Treatment

Berliner Krisendienst

Gemeinde-basierte Angebote statt Zwang

Beschreibung

Als Alternative zur stationären Aufnahme im Krankenhaus, gibt es eine Vielzahl an Wohn-/ Unterkunftsangeboten für Nutzer*innen in akuten Krisen. Im Vergleich zu stationären Einrichtungen, ist der Personalschlüssel besser (weniger Nutzer*innen pro Mitarbeiter*in), es gibt insgesamt mehr Kontakte zwischen Nutzer*innen und Mitarbeitenden und der Fokus der Therapie liegt nicht in der pharmakologischen Therapie. Die Mitarbeitenden können aus Erfahrungsexpert*innen und Nutzer*innen oder auch aus traditionellen psychiatrischen Mitarbeitenden (Psychiater*innen, Psycholog*innen etc.) bestehen.

Die meisten der Kriseneinrichtungen bieten folgendes an:

  • Übernachtungsmöglichkeiten mit einer geringen Anzahl an Betten
  • eine zu Hause ähnliche Umgebung
  • eine intensive, selbstbestimmte Unterstützung/ Behandlung

Beispiele für Kriseneinrichtungen:

  • Krisen- oder Ruhe(-pause)-Häuser (crisis or respite houses):

Als alternative zur psychiatrischen Versorgung unterstützen sich krisen- und genesungserfahrene Menschen (=Peers) gegenseitig, selbstständig und unabhängig von konventionellen psychiatrischen Einrichtungen. Es gibt crisis respite Einrichtungen, in denen die Leitung hauptsächlich aus Peers besteht (peer-run) oder nur zum Teil (peer-operated).

Das Aufnahmeprozedere ist oft nur gering formalisiert. Die Unterkünfte befinden sich häufig in Wohngebieten und bieten Krisenbegleitung in einer wohnähnlichen, nicht-klinischen Umgebung an. Menschen in Krisen soll ermöglicht werden, zur Ruhe zu kommen und Informationen und Unterstützung im Umgang mit ihrer Situation zu erhalten. Die Länge der Aufenthalte variiert deutlich und liegt bei wenigen Tagen bis hin zu Wochen.

Projektbeispiele sind:

  • Bochumer Krisenzimmer Deutschland:

Arbeitsgrundsätze:

Persönliche Krisenbegleitung – Menschliche Zuwendung ist bei der Bewältigung persönlicher Krisen hilfreicher als die Einnahme von Psychopharmaka. Der Verzicht auf psychiatrische Krankheitsbegriffe ist grundlegend, denn diese erweisen sich oft als negative, sich selbst erfüllende Prophezeiungen. Zusätzlich besteht weitgehender Verzicht auf Psychopharmaka, denn abgesehen von ihrer möglichen Schädlichkeit, können sie Menschen dabei behindern Probleme zu lösen. Der Verzicht auf Zwang ist dabei entscheidend. „Wir setzen auf Freiwilligkeit, Eigenverantwortung und Selbstbestimmung.“

  • Berliner Weglaufhaus Deutschland:

Einrichtung für Wohnungslose und von Wohnungslosigkeit bedrohte Menschen, mit Spezialisierung auf die besondere Situation psychiatriebetroffener Menschen. Als psychiatriebetroffen gelten Menschen, die in Psychiatrien behandelt werden oder früher behandelt wurden. Es ist eine besondere Form der Krisenintervention außerhalb des Gesundheitswesens: für Menschen, die sich in einer vorübergehenden sozialen und psychischen Krisensituation befinden. Mindestens die Hälfte der Mitarbeitenden hat selbst Psychiatrieerfahrung. Niemand wird zur Einnahme von Psychopharmaka gezwungen.

Literaturhinweis:

  1. Wehde, Uta (1991): Das Weglaufhaus – Zufluchtsort für Psychiatrie-Betroffene
  • Turning Point Community Crisis Residential Program USA: Krisenbegleitung, Hilfe bei der Wohnungssuche, diverse Gruppen, Beratung im Psychopharmakamanagement

Die Krisenunterkunft hat 6 Betten und die Aufenthaltsdauer umfasst 8 (angestrebt) bis max. 30 Tage. Es wird eine wohnähnliche Atmosphäre mit 4 Schlafzimmern, Gemeinschaftsküche, Mitarbeiterraum bereitgestellt. Im Anschluss an den Aufenthalt, gibt es bei Bedarf, aufsuchende Kontakte durch das CR Team. Die Leitung und übriges Personal sind Peers mit Peer-Support (PS) Training. Es gibt gute Kenntnisse des gemeindepsychiatrischen Angebots durch Tätigkeit in vorangehendem Projekt. Zusätzlich arbeitet dort eine Person mit einer Zusatzausbildung in Suchtberatung und ein/eine Psychiater*innen in Teilzeit mit Beratungsfunktion im Bereich Psychopharmaka.

  • 2nd Story Respite House USA:

Intentional Peer Support (IPS): diverse Gruppenangebote, gemeinsame Mahlzeiten und Ausflüge

Es herrscht eine wohnähnliche Atmosphäre für bis zu 8 Bewohnende und max. 14 Übernachtungen. Anschließend sind weitere Besuche und ehrenamtliche Mitarbeit möglich.

Zwei Peers führen Vorgespräch, mit gemeinsamer Entscheidung über Aufnahme und Festlegung der Ziele für den Aufenthalt. Die Bewohnenden organisieren Psychopharmakaeinnahmen selbst. Das Team besteht ausschließlich aus Peers, alle sind IPS-geschult und supervidieren sich gegenseitig. Es sind immer 2 Peers zeitgleich vor Ort. 

Wirkweise

Die alternativen Einrichtungen und ihre jeweilige Umgebung, sind in einer systematischen Art und Weise weniger autoritär als klassische psychiatrische Einrichtungen und verringern dadurch die Anzahl der Anwendungen von Zwang. Psychiatrie-Erfahrene und Menschen mit psychosozialen Behinderungen haben meist eine starke Fokussierung auf einen Empowerment-, Genesungs- und Selbsthilfe-Ansatz. Sie können Erfahrungen aufweisen, die den Erlebnissen der Nutzer*innen ähneln. Und können so den Nutzer*innen u.a. authentische Unterstützung in einer weniger paternalistischen Art und Weise anbieten.

Adressat*innen

Politik/ Entscheidungsträger*innen – schaffen die gesetzlichen Strukturen und Finanzierung für solche Projekte/ Einrichtungen

Erfahrungsexpert*innen – stellen alle oder große Teile der Mitarbeitenden

Nutzer*innen – haben die Möglichkeit außerklinischer Unterstützung

Evidenznachweis

Es ist insgesamt schwierig die verschiedenen Projekte zu vergleichen. Dennoch:

Die Nutzer*innen fühlen sich sicherer und berichten ein gesteigertes Selbstvertrauen.

Die Nutzer*innen besitzen mehr Freiheit, erleben weniger Zwang, sowie negative Erlebnisse.

Der reduzierte Bedarf an Notfall-Behandlungen und stationären Aufenthalten (teilweise komplette Vermeidung von stationären Aufenthalten, z.B. in den Projekten in Trieste, Italien) ist dabei entscheidend.

Es kommt zu einer signifikanten Verbesserung des selbst eingeschätzten Befindens.

Quellennachweis

Gooding, P. et al. (2018) Alternatives to Coercion in Mental Health Settings: A Literature Review, Melbourne: Melbourne Social Equity Institute, University of Melbourne.

Von Peter, S. et al. (preprint). Gegenseitige Unterstützung Psychiatrieerfahrener in Krisenunterkünften. Ein Scoping Review.

Turning Point Community Crisis Residential Program

Bochumer Krisenzimmer

Berliner Weglaufhaus

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