Rechtsvorgaben

Grundrechte in der Verfassung:

Die BRD hat die Grundrechte im Grundgesetz (GG) verankert, auf die sich jede*r Bundesbürger*in berufen kann. Grundrechte sind dazu bestimmt, die Freiheit des Einzelnen vor ungerechtfertigten und unverhältnismäßigen Eingriffen der öffentlichen Gewalt zu schützen. Darüber hinaus begründen die Grundrechte eine staatliche Schutzpflicht gegenüber Bürger*innen. Die Achtung der Menschenwürde, die Freiheit der Person sowie das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit und auch der Schutz vor Diskriminierung sind von wesentlicher Bedeutung:

Artikel 1  GG:

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

Artikel 2 GG:

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

Artikel 3 GG:

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

Gesetzesgrundlagen zu Zwangsmaßnahmen:

Medizinische Zwangsmaßnahmen sind ein gravierender Eingriff in die Grundrechte der betroffenen Personen (z.B. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 23. März 2011, 2 BvR 882/09, RN 45). Sie sind nur mit einer entsprechenden gesetzlichen Grundlage rechtmäßig. Jeder Eingriff in Grundrechte, bzw. die Selbstbestimmungsrechte, muss im Parlament diskutiert und entschieden werden (1). Die Voraussetzungen für die Rechtmäßigkeit solcher Maßnahmen wird in drei verschiedenen Gesetzestypen festgehalten:

Auf Bundesebene enthält das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) Regelungen dazu, wann Maßnahmen gegen den Willen durchgeführt werden dürfen. Das erste Problem liegt darin, dass überhaupt eine Betreuung gegen den Willen eingerichtet werden kann und die betreuende Person dann gegebenenfalls weitere Maßnahmen gegen den Willen erwirken kann.

Die materiell-rechtlichen Bestimmungen finden sich ab dem 01.01.2023 in §1831 (Freiheitsentziehende Unterbringung und freiheitsentziehende Maßnahmen) und 1832 BGB (Ärztliche Zwangsmaßnahmen), zuvor in § 1906 BGB (Unterbringung und andere freiheitsentziehende Maßnahmen) und § 1906a BGB (Ärztliche Zwangsmaßnahmen).

Die Anforderungen für das Verfahren sind im „Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit“ (FamFG) niedergeschrieben. Im FamFG sind Verfahrensfragen geregelt, beispielsweise wann ein Verfahrenspfleger hinzugeholt werden muss und wie man sich beschweren kann.

Das Betreuungsrecht wurde reformiert und die reformierte Fassung tritt 2023 in Kraft. Wichtige menschenrechtliche Punkte, nämlich die Möglichkeit, Maßnahmen gegen den Willen der betroffenen Person zu treffen und durchzusetzen wurden nicht grundlegend verändert. Die Zwangsmaßnahmen nach BGB wurden nicht debattiert, nur die entsprechenden Paragraphen bekommen neue Nummern (§ 1831 BGB n.F. und § 1832 BGB n.F.) und der Wohl-Begriff wurde insgesamt gestrichen. Ein weiterer Reformbedarf wird nicht ausgeschlossen (Drucksache 19/24445, Paragraph 1831 und 1832, S. 38 und S. 261 und zur Argumentation S. 137f.).

Damit die Zwangsmaßnahmen nach dem BGB, also insbesondere Unterbringung oder freiheitsentziehende Maßnahmen, durchgeführt werden dürfen, muss der Tatbestand einer sogenannten „Selbstgefährdung“ vorliegen.

Auf Länderebene ist die Möglichkeit zu Unterbringung und anderen Maßnahmen gegen den Willen in dem jeweiligen PsychKG/PsychHG/UG geregelt (Zusammenstellung aller PsychKGs). Ihnen ist gemein, dass sie eine Selbst- oder Fremdgefährdung „aufgrund einer psychischen Störung“ (sic!) zur Tatbestandsvoraussetzung machen.

Als weitere Rechtsgrundlage für eine Zwangsmaßnahme wird in der Praxis teilweise § 32 oder § 34 des Strafgesetzbuches (StGB) herangezogen. Dort sind die Notwehr bzw. der rechtfertigende Notstand geregelt.

Schließlich können Zwangsmaßnahmen auch auf Grundlage von § 63 StGB (Maßregelvollzug) gegenüber Personen erfolgen, die eine Straftat „im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen haben“.

Deutsche Psychiatriegesetze und die UN-BRK

Im Zusammenhang mit der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) wird die Zulässigkeit von Zwangsmaßnahmen, insbesondere im Hinblick auf Artikel 12 UN-BRK (Gleiche Anerkennung vor dem Recht) kontrovers diskutiert. Je nach Perspektive, Auslegung und Betonung der einzelnen Absätze dieses Artikels, werden psychiatrische Zwangsmaßnahmen als rechtmäßig und menschenrechtkonform etabliert (2). Auf diese Kontroversen können wir an dieser Stelle nicht im Einzelnen eingehen.

Tatsächlich argumentierte die Bundesregierung 2008 in ihrer Denkschrift zur UN-Behindertenrechtskonvention, dass erst die sogenannte Fremd- und Eigengefährdung in Verbindung mit der Behinderung die Zwangsmaßnahme legitimiere (Drucksache 16/10808, S. 52 zu Artikel 14 UN-BRK), psychiatrische Zwangsmaßnahmen folglich also keine Diskriminierung auf Grund von Beeinträchtigung darstellen würden. An dieser Argumentation hält die Bundesregierung bis heute fest (Drucksache 19/24445, S. 120 3. b)), kündigt aber im Gesetzesentwurf der Regierung zur Reform des Betreuungsrechts einen weiteren Reformprozess an. Dieser solle jedoch erst nach Evaluierung der Gesetzesänderung von 2017 stattfinden (Drucksache 19/24445, S. 137f 3. bb)).

Das BVerfG bezieht sich in einem der entscheidenden Beschlüsse (BVerfG, Beschluss vom 23. März 2011- 2 BvR 882/09, Rn. 53) auch nur auf Artikel 12 UN-BRK, insb. Absatz 4, sieht ihn in seiner Argumentation jedoch nicht in Zusammenhang mit Artikel 14 (Freiheit und Sicherheit) und 15 (Freiheit von Folter). Diese Sichtweise erscheint als verkürzt, denn die Konvention selbst betont, dass die Artikel in Zusammenhängen zu sehen sind (UN-BRK, Präambel c)) und auch die Auslegung der Vorschriften nach ihrem jeweiligen Sinn und Zweck streitet für dieses Ergebnis (teleologische und systematische Auslegung).

Auch im Rahmen der Reform des Betreuungsrechts wurde in der Gesetzesbegründung wiederholt, dass: „die gegenteilige Rechtsauffassung des UN-Fachausschusses, die dieser in seinen im April 2015 veröffentlichten „Abschließenden Bemerkungen zum ersten Staatenbericht Deutschlands“ bekundet hat, ganz überwiegend nicht geteilt (wird).“ Anders als vom UN-Fachausschuss vertreten, lasse sich  Artikel 12 UN-BRK kein absolutes Verbot jeglicher stellvertretenden Entscheidungen sowie von Maßnahmen, die gegen den natürlichen Willen von Menschen mit Behinderungen vorgenommen werden, und an eine krankheitsbedingt aufgehobene Selbstbestimmungsfähigkeit anknüpfen, wie ärztliche Zwangsmaßnahmen und freiheitsentziehende Unterbringungen, nicht entnehmen; dies habe das Bundesverfassungsgericht in seinen Entscheidungen vom 26. Juli 2016 zu ärztlichen Zwangsmaßnahmen (BVerfG, Beschluss vom 26. Juli 2016 – 1 BvL 8/15 –, BVerfGE 142, 313 bis 353) sowie vom 24. Juli 2018 im Hinblick auf Fixierungen während einer öffentlich-rechtlichen Unterbringung nach Landesrecht (BVerfG, Urteil vom 24. Juli 2018 – 2 BvR 309/15 und 2 BvR 502/16 –, BVerfGE 149, 293 bis 345) ausdrücklich bestätigt (Drucksache 19/24445, S. 120.).

Fest steht für uns, wie unter „Unsere Haltung zu Zwang“ dieser Internetseite festgehalten ist: Die Gesetze der Bundesrepublik halten an der Rechtmäßigkeit von psychiatrischen Zwangsmaßnahmen fest. Dies in Diskussion zu stellen und grundlegend kritisch zu hinterfragen, darf nicht vergessen werden! Mildere Mittel bekannter zu machen und anzuwenden, ist ein wichtiger Schritt Richtung menschenrechtskonformer Versorgung.

(1) Schmidt-Recla: Auf den Trümmern der Unterbringungsgesetze der Länder und im Niemandsland zwischen Einsichts- und Einwilligungsfähigkeit | MedR 2013, 567-570

(2) Sowohl der DGPPN (Stellungnahme 2014), als auch z.B. das Bundesverfassungsgericht (2 BvR 882/09, RN 53), gehen von einem funktionellem Verständnis von Selbstbestimmungsfähigkeit aus, betonen in diesem Zusammenhang den Art. 12 Abs. 3 und 4 UN-BRK und leiten aus ihm einen staatlichen Schutzauftrag ab. UN-Gremien (CRPD/C/GC/1, 14.) hingegen gehen von Selbstbestimmung als unveräußerlichem Recht aller Menschen aus und heben hervor, dass die Fähigkeitsannahme fehlerhaft ist. Denn sie geht davon aus, dass sobald jemand als selbstbestimmungsunfähig eingeschätzt wird, dies auch das Recht beinhaltet, dieser Person ihre gleiche Anerkennung vor dem Recht zu entziehen. Dieser Vorgang wird laut des Dokuments insbesondere diskriminierend gegenüber Menschen mit psychischen Behinderungen angewandt (CRPD/C/GC/1, 15.).


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