Unsere Haltung zu Zwang

Zu der Frage was wir unter Zwang verstehen und ob es Zusammenhänge gibt, in denen Zwangsausübung legitim sein kann, führte unsere Gruppe Abende füllende Diskussionen…

An der Positionierung zu dieser brisanten Fragestellung zeigen sich unterschiedliche Interessen, Erfahrungen und Zielsetzungen. Das Spektrum an Forderungen ist breit und reicht von der vollständigen Abschaffung bis hin zur Minimierung von psychiatrischen Zwangsmaßnahmen. Entsprechend unterschiedlich wird auch die folgende Frage beantwortet:
Relativiert und schwächt die Forderung nach einer Minimierung von psychiatrischen Zwangsmaßnahmen schon die eindeutige Forderung verschiedener UN-Gremien (UN-Hochkommissariat, UN- Fachausschuss, UN-Berichterstatter zu Folter) nach einem völligen Verbot solcher Maßnahmen?

In politischen Entscheidungen und gesetzlichen Regelungen in der BRD findet die klare Position der UN-Gremien, dass psychiatrische Zwangsmaßnahmen nach UN-BRK unter allen Umständen unrechtmäßig sind, bislang wenig Widerhall. So sind psychiatrische Zwangsmaßnahmen sowohl auf Bundes- als auch Landesebene nach wie vor ein rechtmäßiges Mittel der psychiatrischen Praxis. Bekanntlich dann, wenn dem betroffenen Menschen die Fähigkeit aberkannt wird selbstbestimmt zu entscheiden und eine von ihm ausgehende unmittelbare Gefahr für Leben und körperliche Unversehrtheit des betroffenen Menschen selbst oder Dritter vermutet wird.

Wir müssen unbedingt darauf hinweisen, dass die Einschätzung einer unmittelbar drohenden Gefahr, zuweilen sehr subjektiv getroffen wird, also abhängig ist vom Kontext und von den wenig flexiblen Möglichkeiten zu reagieren. Die Zuspitzung in solchen Krisensituationen ist auch Folge unzureichenden Handelns im Vorfeld und des fehlenden Vorhandenseins von betroffeneninitiierten, alternativen und nicht medizinischen Unterstützungsmöglichkeiten. Die Einschätzung der Gefährlichkeit wir dann oft als Vorwand genutzt, um Mangels anderer Möglichkeiten einschreiten zu können. Auch ist die Varianz zwischen Regionen und zwischen Institutionen, bei der Anwendung von Zwang, ausgesprochen groß.

Für uns steht fest, dass die unzureichende Datenlage zur Verbreitung und Auswirkung von Zwangsmaßnahmen, die vielen Berichte über traumatisierende Eingriffe in den persönlichen Lebensraum und die langfristigen Konsequenzen des Entzugs von Selbstbestimmung, gravierende Probleme bleiben, die einer fortwährenden öffentlichen, kritischen und wirksamen Debatte bedürfen.

Um den Menschenrechten gerecht zu werden, ist daher eine grundsätzliche Infragestellung von Zwangspraktiken an Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen unumgänglich. Nur durch den (maximalen) Verzicht, auf durch psychiatrische Einschätzung legitimierten Zwang, kann das Selbstbestimmungsrecht betroffener Menschen gewahrt werden.

Für psychiatrische Zwangshandlungen kann es in einer demokratischen Gesellschaft, ausgehend von dem Recht auf Selbstbestimmung (Artikel 12 UN-BRK), kaum eine ethische und rechtliche Rechtfertigung geben.

Zwang in der Psychiatrie zeigt sich in unterschiedlichsten Formen. So kann er von psychiatrischen Maßnahmen gegen den natürlichen Willen (freiheitsentziehende und medizinische Zwangsmaßnahmen) bis zu informellem Zwang reichen (z.B. die Verwehrung von Besuchen bei Nichteinnahme von Psychopharmaka oder die Verweigerung bestimmter Therapieformen, Ausgangsbeschränkungen).

Sowohl in der Gesetzgebung des Bundes und der Länder, als auch in der öffentlichen ethischen Debatte (Deutscher Ethikrat spricht von „wohltätigen Zwang“), wird an der Legitimität von Zwangsmaßnahmen durch medizinische Festlegungen festgehalten.

Es ist fragwürdig, warum angesichts der klaren Position des UN-Fachausschusses und anderer UN-Gremien, auf die Rechtmäßigkeit von psychiatrischen Zwangsmaßnahmen beharrt wird.

Die entsprechenden Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts erklären psychiatrische Zwangsmaßnahmen bei „krankheitsbedingter Einsichtsunfähigkeit“ für zulässig (2 BvR 882/09, 2011) und betonen den Schutzauftrag des Staates (1 BvL 8/15, 2016). Die rechtlichen Entwicklungen seit Ratifizierung der UN-BRK zielen nicht darauf ab, zwangsfreie Konzepte psychosozialer Versorgung gesetzlich zu etablieren, vielmehr werden psychiatrische Zwangsmaßnahmen weiterhin als grundrechtlich zulässig dargestellt.

Diese Entwicklung zu hinterfragen, und ihr entgegenzuwirken, ist unser Anliegen. Trotz unterschiedlicher Auffassungen im Detail, ist die Grundüberzeugung unserer Gruppe, dass die Selbstbestimmungsrechte betroffener Menschen unveräußerlich sind.

Sogenannte psychische Erkrankungen dürfen keine Rechtfertigung für die Anwendung staatlicher Gewalt durch die Psychiatrie sein!

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