Einbezug von Nutzer*innen & Erfahrungsexpert*innen
Vorschläge Aktion Atikel 16
Mitarbeit von Peers in den Stationsteams – in ausreichender Anzahl und mit adäquater Bezahlung. Diverse Literaturhinweise zur Peer-Arbeit in der psychosozialen Versorgung sind bei der
Trialogischen Arbeitsgemeinschaft EX-IN Bayern zu finden.
Bedeutung/ Rolle von Nutzer*innen im Krankenhaus
(Consumer roles in inpatient settings – Teil der Sechs Kern-Strategien zur Reduzierung der Anwendung von Isolierung und Zwangsmaßnahmen)
Beschreibung
Nutzer*innen, das soziale Netzwerk, Pflegende und externe Interessensvertreter*innen (wie Patientenfürsprecher*innen), tragen aktiv und systematisch zur Verhinderung von Zwang bei. Die oben genannten Gruppen nehmen als Interessensvertreter*innen in allen wichtigen Kommissionen der jeweiligen Institution teil. Das Bundesteilhabegesetz (BTHG) ist in Deutschland von höchster Bedeutung hinsichtlich der genauen Ausgestaltung ihrer Arbeit, Arbeitsstunden und Vergütung.
Wirkweise
Die Perspektiven, Erfahrungen und Lösungswege von Nutzer*innen, ihrer Angehörigen und von weiteren Interessensvertreter*innen helfen dabei Zwang zu verhindern/ reduzieren.
Adressat*innen
Mitarbeitende
Nutzer*innen
Soziales Netzwerk Interessensvertreter*innen (Patientenfürsprecher*innen, Anwält*innen etc.)
Evidenznachweise
Sechs empirische Studien, sowie eine sog. „Grey-literature“-Studie, berichten über eine signifikante Reduzierung von Zwang. Die „Six Core Strategies“ fanden Anwendung im Krankenhauskontext (Erwachsenenpsychiatrie, in der Kinder- und Jugendpsychiatrie, und in der Forensischen Psychiatrie).
Quellennachweise
Six Core Strategies (National Association of State Mental Health Program Directors (NASMHPD) 2006)
Alternatives to Coercion: Review
Gooding, P. et al. (2018) Alternatives to Coercion in Mental Health Settings: A Literature Review, Melbourne: Melbourne Social Equity Institute, University of Melbourne.
UN General Assembly (2007) Report of the Special Rapporteur on the right of everyone to the enjoyment of the highest attainable standard of physical and mental health
Gaskin, C.J. et al. (2007) Interventions for reducing the use of seclusion in psychiatric facilities. Review of the literature. British Journal of Psychiatrie
Dachverband Gemeindepsychiatrie e.V. (2016) Experten aus Erfahrung Menschen mit psychischen Erkrankungen als Mitarbeiter in Behandlungsteams
Jörg Utschakowski, Gyöngyvér Sielaff, Thomas Bock und Andréa Winter (Hg.) (2016): Experten aus Erfahrung Peerarbeit in der Psychiatrie. Psychiatrie Verlag.
Bettina Jahnke (2016) Vom Ich-Wissen zum Wir-Wissen – Mit EX-IN zum Genesungsbegleiter. Paranus Verlag
Luciana, D., Petersen J. (2018) PROJEKTBERICHT: Sicherstellung einer gelingenden Implementierung des Genesungsbegleiteransatzes bei den psychiatrischen Organisationen, die (neu) mit Genesungsbegleiter*innen arbeiten
Von Betroffenen geleitete Initiativen und Forschung
(‚Peer-led‘ initiatives and research)
Beschreibung
Es gibt eine Vielzahl von Initiativen, die von Personen mit eigenen psychischen Krisenerfahrungen oder psychosozialen Behinderungen geleitet werden. Dazu gehören Selbsthilfe- Gruppen, Organisationen unabhängiger Aktivist*innengruppen und Selbstvertretungsorganisationen, sowie Mitarbeitende in psychiatrischen und psychosozialen Einrichtungen, die selbst Psychiatrie-Erfahrung haben.
Ein Beispielprojekt:
Das ACT Mental Health Consumer Network in Australien ist eine Initiative von Nutzer*innen, die Zwang erfahren haben und Forschung hinsichtlich einer Psychiatrie ohne Zwang durchführen. Quantitative Daten und persönliche Erfahrungen fließen in diese Forschung ein.
Eines dieser Projekte untersuchte jeden Vorfall von Isolierung, Fixierung und viele “Beinahe-Ereignisse”, um herauszufinden, wie diese Ereignisse verhindert werden können.
Dazu fanden regelmäßig Treffen statt, in denen sich Mitarbeitende mit Nutzer*innen austauschten. In diesen Treffen wurden subjektive Geschichten von Isolierung und emotionaler Einschränkung besprochen. Auch die teilnehmenden Mitarbeitenden sprachen über ihre eigenen Erfahrungen auf der Station. Diese Geschichten ermöglichten, dass Verletzlichkeit, Ehrlichkeit, Mitgefühl und Menschlichkeit die Menschen zusammenbringen. Ein gemeinsames Verständnis entstand darüber, dass Isolierung ein Versagen der Behandlung darstellt.
Im Zuge dieser Austauschformate hat sich eine Kultur entwickelt, in der schwierige Situationen ohne Schuld diskutiert werden und in der jeder Standpunkt geschätzt, jede Stimme gehört und respektiert werden konnte. Dies war ein nicht immer einfacher Prozess. Gleichzeitig wurden dabei routinierte Einstellungen in Frage gestellt und verändert. Neue Sichtweisen wirkten in die Akutstation hinein, um systemische und kulturelle Veränderungen zu erwirken, die es allen Beteiligten ermöglichten, Nutzer*innen besser zu unterstützen. Insgesamt zeigten die Forschungsergebnisse, dass die Stimmen der Nutzer*innen und die gelebten Erfahrungen sowohl der Nutzer*innen als auch der Kliniker*innen der zentrale Antrieb für den kulturellen Wandel und für die Reduktion von Isolierungen waren.
Wirkweise
Organisationen oder Gruppen ehemaliger Nutzer*innen positionieren sich klarer und manchmal auch grundlegender in Bezug auf die Verhinderung von Zwangsmaßnahmen. Oft fordern diese Gruppen die vollständige Beendigung der Anwendung von freiheitsentziehenden Maßnahmen- keine große, bis heute veröffentlichte, Studie hat dies zum Ziel.
Adressat*innen
Nutzer*innen/ Psychiatrie-Erfahrene – Empowerment durch selbstinitiierte Projekte und kritische Reflexion des Psychiatriealltags
Mitarbeitende – Reflexion und Selbstkritik der eigenen Verhaltensweisen in Bezug auf Zwang
Klinikleitung/ Leitung von Einrichtungen – müssen offen sein, Psychiatrie-Erfahrene als Mitarbeitende einzustellen und deren Expertise wertzuschätzen
Evidenznachweise
Reduktion der Anwendung von Fixierungen von 6,9% auf unter 1% innerhalb eines Jahres (Australien)
Quellen
Gooding, P. et al. (2018) Alternatives to Coercion in Mental Health Settings: A Literature Review, Melbourne: Melbourne Social Equity Institute, University of Melbourne.
Foxlewin et al. (2012) What is happening at the Seclusion Review that makes a difference? – a consumer led research study