Umsetzungsbeispiele, die mehrere Strategien kombinieren

Psychiatric Center Ballerup

(Psychiatrische Klinik der Unversität Kopenhagen, Dänemark)

Beschreibung

Das dänische Gesundheitsministerium, hat in Kollaboration mit regionalen Behörden das Ziel verkündet, bis 2020 die Anwendung von mechanischer Fixierung in psychiatrischen Einrichtungen um 50% zu reduzieren. Daraufhin wurden Mitarbeitende in psychiatrischen Einrichtungen in Deeskalationstechniken und Konfliktlösungen geschult und Nutzer*innen erhielten in diesen Einrichtungen vermehrt die Möglichkeit Freizeitaktivitäten nachzugehen. Zudem wurden Einrichtungen architektonisch umgestaltet.

Adressat*innen

Politik – kann Gesetze zur systematischen Änderung des psychiatrischen Gesundheitswesens erlassen

Kliniken, insbes. Führungspersonal – kann die neue Gesetzgebung in Modellprojekten umsetzen

Evidenznachweise

Starke Reduzierung in der Anwendung von mechanischer Fixierung im psychiatrischen Krankenhaus in Ballerup (u.a. 100 Tage in Folge ohne Nutzung jeglicher mechanischer Fixierung).

Quellen

Mental Health Europe (MHE) (2019) Promising practices in prevention, reduction and elimination of coercion across Europe.

Link zur Ansicht der architektonischen Umgestaltung der Klinik

Psychiatrische Abteilungen von Krankenhäusern in Italien, die keine Zwangsmaßnahmen anwenden (SPDC)

(no restraint Servizi Psichiatrici di Diagnosi e Cura (SPDC))

Beschreibung

SPDCs (Servizi Psichiatrici di Diagnosi i Cura) sind kleine psychiatrische Abteilungen (max. 15 Betten) von Krankenhäusern und wurden im Rahmen der Deinstitutionalisierung in Italien eingeführt. Viele von ihnen haben durchgehend offene Türen (siehe auch unter „Strategie der offenen Tür“) und seit vielen Jahren keinerlei Zwangsmaßnahmen angewandt. Dies wurde erreicht durch Fortbildungen und das Erlernen neuer Skills. Die SPDCs sind stets Teil eines Netzwerkes aus Organisationen von Erfahrungsexpert*innen und deren Verbänden, Angehörigenverbänden, lokalen Behörden sowie Polizei und Gerichten.

Wirkweise

Das Prinzip der offenen Türen innerhalb der SPDCs, sowie Möglichkeiten, die auf Dialog basieren, regen Menschen mit Krisenerleben dazu an, für ihre Genesung selbst Verantwortung zu übernehmen. Zudem schafft es die Offenheit der SPDCs, das Vertrauen und die Kooperation zwischen Menschen, innerhalb und außerhalb der Krankenhäuser, zu erweitern.

Adressat*innen

Politik – kann Gesetze zur systematischen Änderung des psychiatrischen Gesundheitswesen erlassen

Kliniken, insbes. Führungspersonal – kann die neue Gesetzgebung in Modellprojekten umsetzen

Erfahrungsexpert*innen, Angehörige, Interessensvertreter*innen – können Gesetzgebende zu Gesetzesänderungen auffordern

Evidenznachweise

Drastische Reduzierung der Anwendung von Zwang, einige psychiatrische Stationen haben seit Jahren keine Anwendung von Zwang durchgeführt.

Quellen

Mental Health Europe (MHE) (2019) Promising practices in prevention, reduction and elimination of coercion across Europe.

Stationen mit intensiver Pflege/ Behandlung/ Unterstützung (HIC) in den Niederlanden

High & Intensive Care (HIC) Units

Beschreibung

Seit 2006 gibt es in den Niederlanden das nationale Ziel, die Anzahl der Anwendungen von Isolierungsmaßnahmen um 10% pro Jahr zu senken. Formuliert wurde dieses Ziel von vielen psychiatrischen Einrichtungen, sowie der niederländischen Regierung. Einige Einrichtungen fordern zudem einen kompletten Verzicht auf Isolierungsmaßnahmen ab 2020. Dies mittels der Entwicklung von Stationen mit intensiver Unterstützung (HIC) und durch eine multidisziplinäre Gruppe, inkl. Erfahrungsexpert*innen und Angehörigen. HICs sind Akutstationen, die sich auf Krisenprävention und auf das in Kontakt treten und bleiben mit Menschen in Krisen fokussieren. Jede HIC besteht aus einem Team aus Erfahrungsexpert*innen, Psychiater*innen, Psycholog*innen und Krankenpfleger*innen. Diese Teams müssen Fortbildungen in Krisenmanagement, Umgang mit Aggression und Suizidgedanken erhalten haben. Die Stationen wurden architektonisch umgestaltet, sodass es 1-Bett-Zimmer und große Wohnzimmer und Außenbereiche gibt. Das individuelle Risiko der Nutzer*innen für Eskalation/ Aggression wird eingeschätzt (und immer stetig neu eingeschätzt) und ein gemeinsamer Krisenplan (siehe Gemeinsamer Krisenplan für genauere Beschreibung) mit dem sozialen Netzwerk gemeinsam verfasst.
Es gilt eine strenge Dokumentationspflicht in Fällen der Anwendung von Isolierungsmaßnahmen, die immer nachbesprochen werden müssen.

Wirkweise

Die Stationen bieten eine unterstützende Atmosphäre, die Nutzer*innen willkommen heißen. In Kontakt treten und bleiben in Fällen von Angst und Stress wird ermöglicht, wodurch sich Nutzer*innen nie alleine gelassen fühlen. Durch eine verbesserte Atmosphäre, sowie Kollaboration zwischen dem Team der Station und den Nutzer*innen, wird die Anwendung von Zwang verhindert.

Adressat*innen

Politik – kann Gesetze zur systematischen Änderung des psychiatrischen Gesundheitswesen erlassen

Kliniken, insbes. Führungspersonal – kann die neue Gesetzgebung in Modellprojekten umsetzen

Erfahrungsexpert*innen, Angehörige, Interessensvertreter*innen – können Gesetzgebende zu Gesetzesänderungen auffordern und bei Modellprojekten mitwirken

Evidenznachweise

  • Reduzierung der Anwendung von Isolierungsmaßnahmen, gleichzeitig kein Anstieg der Zwangsmedikation

Quellen

Mental Health Europe (MHE) (2019) Promising practices in prevention, reduction and elimination of coercion across Europe.

Film über Aufbau und Funktionsweise von HIC

Lovisenberg Diakonale Krankenhaus in Norwegen

Beschreibung

2013 wurde ein lokales Projekt im Lovisenberg Diakonale Krankenhaus in Norwegen gestartet, um die Anwendung von Zwang zu reduzieren. In diesem lokalen Projekt wurden seit 2013 v.a. digitale Fortbildungen für die Mitarbeitenden entwickelt, um einen Wandel in der Kultur der Einrichtung zu vollziehen. Zu dem angestrebten Wandel zählen:

  • die Haltung der Mitarbeitenden
  • Besprechungen (Debriefing) nach Vorfällen von Zwang
  • Erfassung von Gewalt
  • Änderungen der physischen Umgebung der einzelnen Stationen
  • sowie eine detaillierte statistische Erfassung hinsichtlich der Anwendung von Zwang.

Adressat*innen

Politik – kann Gesetze zur systematischen Änderung des psychiatrischen Gesundheitswesen erlassen

Kliniken, insbes. Führungspersonal – kann die neue Gesetzgebung in Modellprojekten umsetzen

Erfahrungsexpert*innen, Angehörige, Interessensvertreter*innen – können Gesetzgebende zu Gesetzesänderungen auffordern und bei Modellprojekten mitwirken

Evidenznachweise

  • Reduzierung der Anwendung von mechanischer Fixierung um 85%

Quellen

Mental Health Europe (MHE) (2019). Promising practices in prevention, reduction and elimination of coercion across Europe.

Schwedisches Psychiatrieprojekt mit Trainings in Menschenrechten zur Stärkung und Inanspruchnahme der eigenen Rechte

(Human rights training and „to come to One’s Own Right-empowerment based psychiatry” project)

Beschreibung

Dies ist ein menschenrechtsbasierter Ansatz, der zunächst in einer Station des Sahlgrenska Krankenhauses in Schweden für Menschen mit Psychose-Erfahrungen entwickelt wurde. Erfahrungsexpert*innen und ihre Interessensvertreter*innen sowie professionell Tätige, Krankenhausdirektor*innen und Menschenrechtsexpert*innen erhielten in diesem Kontext Fortbildungen/ Trainings/ Workshops, um Anwendungen von Zwang zu verhindern. Mittlerweile wurde dieser Ansatz auf gemeindebasierte Ansätze übertragen und beinhaltet Workshops, Diskussionen und Picknicks. Das Hauptziel ist der komplette Stopp der Anwendung von Zwang bis 2020.

Adressat*innen

Politik – kann Gesetze zur systematischen Änderung des psychiatrischen Gesundheitswesen erlassen

Kliniken, insbes. Führungspersonal – kann die neue Gesetzgebung in Modellprojekten umsetzen

Erfahrungsexpert*innen, Angehörige, Interessensvertreter*innen – können Gesetzgebende zu Gesetzesänderungen auffordern und an Modellprojekten mitwirken

Evidenznachweise

  • Starke Reduzierung der Anwendung von Zwang
  • Höhere Zufriedenheit der Nutzer*innen
  • Gefühl des „Empowerments“ bei den Nutzer*innen
  • Höhere Zufriedenheit der Mitarbeitenden hinsichtlich der Arbeit

Quellen

Mental Health Europe (MHE) (2019). Promising practices in prevention, reduction and elimination of coercion across Europe.

No Force First Projekt in England

Beschreibung

Ziel des Projektes ist es, einen Wandel der Kultur auf der Station zu erreichen: Weg von Zwang, hin zu Genesung. Wobei die Station letztendlich eine Umgebung ohne jeglichen Zwang sein soll. Die Idee hierbei ist, dass es keine erzwungene Genesung geben kann.

Durch folgende konkrete Maßnahmen wurde diese Herangehensweise umgesetzt:

  • Kollaboration zwischen Menschen mit Krisenerleben und Mitarbeitenden
  • Entwicklung von Trainings-Programmen in Kooperation mit Erfahrungsexpert*innen  
  • Trainings in De-eskalationstechniken und die Entwicklung einer kooperativen und nicht restriktiven Kultur, um Aggressionen, Selbstverletzung und physische Interventionen (Fixierungen) zu vermeiden.
  • Zudem sollen Empathie und ein tieferes Verständnis der Situationen der betroffenen Menschen, durch den trauma-informierten Ansatz (s.o. Trauma-informierter Ansatz), erreicht werden.
  • Vorfälle mit Zwang werden aufgezeichnet und diese Situationen unmittelbar danach besprochen und ausgewertet.

Wirkweise

Es wird eine Kultur des gemeinschaftlichen Empowerments geschaffen, in der Erfahrungsexpert*innen und professionell Tätige zusammenarbeiten, um Konflikte zu vermeiden und Sicherheit und Genesung zu ermöglichen.

Adressat*innen

Politik – kann Gesetze zur systematischen Änderung des psychiatrischen Gesundheitswesen erlassen

Kliniken, insbes. Führungspersonal – kann die neue Gesetzgebung in Modellprojekten umsetzen

Erfahrungsexpert*innen, Angehörige, Interessensvertreter*innen – können Gesetzgebende zu Gesetzesänderungen auffordern und an Modellprojekten mitwirken

Evidenznachweise

  • Starke Reduzierung (60%) der Anwendung von physikalischen Zwangsmaßnahmen (Fixierung)
  • Reduzierung der Ausfälle der Mitarbeitenden durch Krankheit mit daraus folgender Reduzierung der finanziellen Kosten

Quellen

Mental Health Europe (MHE) (2019) Promising practices in prevention, reduction and elimination of coercion across Europe.

No Force First Projekt

Mobile Stationen für Psychische Gesundheit (Griechenland)

(Mental Health Mobile Units)

Beschreibung

Mobile Stationen für psychische Gesundheit sind die Grundlage, für die Bereitstellung psychosozialer Unterstützung und den Schutz von krisenerfahrenen Menschen. Dies v.a. in ländlichen Regionen Griechenlands. Das Hauptziel ist es, betroffene Menschen nicht von ihrer Gemeinde zu trennen, wie dies z.B. durch stationäre Krankenhausaufenthalte oft passiert. Die lokale Gemeinde, (Gesundheits-) Behörden, Polizei, Staatsanwälte etc., sind aktive Partner*innen in den mobilen Stationen und ermöglichen den betroffenen Menschen aktive Mitglieder der Gemeinschaft zu bleiben. Die mobilen Einheiten unterstützen sowohl bei der Suche nach geeigneter Behandlung/ Unterstützung psychischer Beschwerden, als auch bei sozialen oder arbeitsbezogenen Problemen.

Wirkweise

Dadurch, dass die betroffenen Menschen in ihren Gemeinden bleiben können und Dienstleistungen so gut wie möglich in der häuslichen Umgebung dieser angeboten werden, ermöglichen die mobilen Stationen Stabilität und Kontinuität in der Unterstützung/ Behandlung.

Adressat*innen

Politik – Gesetzgebung, die solche Projekte ermöglicht

Mitarbeitende der Gesundheitsberufe

Lokale Gemeinden, Behörden (Polizei, Sozialamt etc.)

Evidenznachweise

Regionen, in denen die Mobilen Stationen eingesetzt werden, haben wesentlich geringere Raten an unfreiwilligen Krankenhauseinweisungen/ -aufenthalten.

Quellen

Mental Health Europe (MHE) (2019) Promising practices in prevention, reduction and elimination of coercion across Europe.

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